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Übers eigene Leben schreiben

Autobiografisch zu schreiben ist für viele Menschen ein Bedürfnis. Und nicht, weil sie sich selbst oder ihr Leben so wahnsinnig wichtig nehmen, dass sie allen anderen davon erzählen möchten – nicht jeder autobiografischer Text ist schließlich als gedruckte Autobiografie angedacht, sondern weil damit ein schöner Prozess seinen Anfang nimmt.

Warum autobiografisch schreiben?
Autobiografisch zu schreiben ist immer ein Prozess des Erinnerns, Verarbeitens und Ordnens.

Erinnern
Jedes geschriebene Wort ist ein Produkt des Dialogs zwischen bewusstem Ich und Unbewussten. Damit ist jede neue Erinnerung, die beim Schreiben auftaucht, ein Geschenk des Unterbewusstseins, das auch entsprechend gewürdigt werden will.
Erinnerung lässt sich zum Teil bewusst anregen, durch Musik, Familien-Alben, alte Tagebücher, Kinderspielzeug, Gespräche mit Bekannten und Verwandten. Manches allerdings wird für immer im Gedächtnis verschollen bleiben, auch das ist zu akzeptieren.

Verarbeiten und Blockaden lösen
Das Besondere am Schreiben ist, dass der Prozess des Niederschreibens zwei Qualitäten zur gleichen Zeit hat: zum einen erlebt man gewisse Erfahrungen noch einmal, was schmerzhaft sein kann, zum anderen distanziert man sich vom Erlebten, eben indem man schreibt und einen Metablick darauf wirft. Und genau das hilft, die Erfahrung zu verarbeiten und zu verstehen. Dabei kann man Gefühle, Gedanken, Wünsche oder Antriebe aus heutiger Sicht hinterfragen und sie verändern. Das ist Persönlichkeitsentwicklung, das ist Wachstum, das ist Heilen. Schreiben ist außerdem ein Ventil, mit seelischen Schmerzen umzugehen, indem man sie rausschreibt. So lassen sich bestimmte Ängste auflösen, die uns unterschwellig blockieren, weil sie nicht ausgedrückt werden.

Ordnen
Autobiografisches Schreiben kann auch helfen, sein aktuelles Leben zu ordnen. Wenn man man über Ereignisse, Muster, Gedanken, Sorgen usw. schriftlich nachdenkt, wird vieles klarer, als wenn man solche Dinge nur im Kopf hin- und herschiebt. Das macht in der Tat einen großen Unterschied – probieren Sie es aus! Auch bekommen gewisse Erfahrungen aus der Vergangenheit durch das Verarbeiten einen anderen Stellenwert für unser heutiges Leben. Eine neue Sichtweise hat auch unmittelbaren Einfluss auf unsere Zukunft. Schreiben ist also nicht nur Selbstzweck. Außerdem ist nicht zu unterschätzen, wie regelmäßiges Schreiben die Wahrnehmung schärft. Äußere Ereignisse werden genauer beobachtet – und innere erst recht.

Worüber kann man schreiben?
Autobiografisches Schreiben kennt keine bestimmte Form und ist auch keinem Genre zuzuordnen. Man kann über alles und in jeder Form schreiben. Ob Sie ein persönliches Erlebnis in einer Fabel verarbeiten, ob Sie ein Gedicht formulieren, ob Sie Charakterstudien über Ihnen vertraute Menschen anfertigen, ob Sie nüchtern neue Erkenntnisse niederschreiben oder einfach Notizen in einem Tagebuch festhalten – das alles ist autobiografisch. Und das alles löst einen Prozess aus, der Ihrer Persönlichkeit zugute kommt.
Wenn man von autobiografischen Schreiben spricht, denken viele an die gedruckten „Memoiren“ – Autobiografien also, die meist von bekannten Persönlichkeiten als Lebensrückblick geschrieben wurden, beginnend bei der Geburt bis hin zum Status quo. In solchen Autobiografien entwirft man letztlich ein homogenes Selbstbild, das möglichst noch in schillernden Farben gemalt wird. Darum soll es hier nicht gehen.

Das eigene Leben als Forschungsvorhaben
Autobiografisches Schreiben kann nämlich auch etwas ganz anderes meinen, und zwar das eigene Leben als „Forschungsvorhaben“ zu sehen. Sich sozusagen fragmentarisch zu erinnern und solche Eindrücke niederzuschreiben. Mit der Zeit entstehen auf diese Weise viele unverbundene Mitteilungen und Notizen, die jeweils ein ganz bestimmtes Erlebnis zum Inhalt haben, das nur für sich betrachtet wird. So ergibt sich eines Tages ein interessantes Archiv an Texten, die sich aneinanderreihen, ordnen, aufeinander beziehen und erweitern lassen. Man schreibt nach Impulsen, die aber durch das Schreiben geerdet und strukturiert werden.

Jede Autobiografie ist immer auch fiktiv
Selbst wenn man seine eigene Lebensgeschichte nach bestem Wissen und Gewissen niederschreibt, muss das nicht die reine Wahrheit sein, sofern es diese überhaupt gibt. Denn Erlebnisse, die Sie heute niederschreiben, haben sich im Laufe der Erinnerung verändert, sind nicht mehr exakt so vorhanden, wie sie damals erlebt wurden. Möglicherweise muss man Details dazu erfinden, Raumdekoration, Aussagen und dergleichen, weil man sich nicht immer an alles so genau erinnern kann.

Und jedes Schreiben ist letztlich autobiografisch
Auch wenn ein Krimiautor über einen Mord erzählt, wird vieles in seinem Buch autobiografisch sein. Das können Nebenpersonen sein, die er aus dem echten Leben kennt, das können Gefühle sein, die er bereits erlebt hat, das können bekannte Orte sein, die er in Beschreibungen wiedergibt und vieles mehr. Jede/r Schriftsteller/in schöpft aus den eigenen Erfahrungen. Und das ist auch gut so. Weil man dann am anschaulichsten über etwas schreiben kann, das man selbst in irgendeiner Weise kennt. Vielen Autorinnen und Autoren betonen sogar, dass das Schreiben notwendigerweise autobiografisch ist. Zum Beispiel Marlen Haushofer: „Ich schreibe nie über etwas anderes als über eigene Erfahrungen. Alle meine Personen sind Teile von mir, sozusagen abgespaltene Persönlichkeiten, die ich recht gut kenne. Ich bin der Ansicht, dass im weitesten Sinne alles, was ein Schriftsteller schreibt, autobiografisch ist.“ Und Margit Schreiner antwortet üblicherweise aus die Frage, wieviel Autobiografisches denn in ihren Büchern stecke, mit: „90 % Wahrheit, 90 % Fiktion“:-)

Staunen und notieren
An jedem Tag erleben wir eine Vielzahl an Szenen, die wir gar nicht richtig registrieren. Wenn wir nun beginnen, uns hin und wieder aus dem Geschehen gedanklich auszuklinken und bewusst wahrzunehmen, was gerade geschieht, vielleicht auch mit der kindlichen Fähigkeit des Staunens, so haben wir hier einerseits einen interessanten „Rohstoff“ und andererseits bewahren wir diese Momente vor dem Vergessen. Andy Warhol zum Beispiel hat ganz konsequent solche Lebensmomente registriert. Seine „Diaries“ bereiten angeblich beim Lesen großes Vergnügen. Scheinbar uninteressante Begebenheiten werden damit zu zeittypischen Dokumenten und zu einem Teil des eigenen Lebens.

Vergessen Sie, gut schreiben zu wollen
Wenn Sie sich zum Schreiben hinsetzen, dann schreiben Sie einfach los. Fangen Sie gar nicht erst an, Ihren kreativen Fluss zu blockieren, indem Sie ihre Worte ständig hinterfragen und zensurieren. Das können Sie später immer noch machen, wenn Sie den Text überarbeiten wollen. Beim Schreiben selbst aber hemmt das nur den Schreibfluss. Denken Sie auch nicht zu lange nach, mit welchem Ereignis Sie am besten anfangen. Mit der Zeit wird sich eine Ordnung herausstellen. Beginnen Sie vielleicht mit solchen Notizen zum täglichen Geschehen. Machen Sie es sich zu einer lieben Gewohnheiten, sofort oder am Ende des Tages manche Szenen mit einem Stift zu „fotografieren“. So bekommen diese kleinen Augenblicken eine Frische und ein Leuchten. Sie sammeln also Momente, von denen Sie noch nicht wissen, welche Bedeutung sie für Ihr Leben haben. Sie sind in jedem Fall Rohstoff für das Ausstatten von Geschichten mit lebendigen Szenen und eine wunderbare Übung im Beobachten und Schreiben.

Wenn es stockt
Wenn Erinnerungen nicht hervor kommen wollen, muss man das meistens akzeptieren. Vielleicht klappt es ein anderes Mal. Vielleicht nach einer Pause mit Musik oder einem kleinen Spaziergang. Bevor man allerdings aufgibt, kann man noch eine Technik versuchen, die aus der Psychologie (Freud – freie Assoziation) kommt und von etlichen Schriftstellern angewendet wird, das automatische Schreiben: Dazu notieren Sie alles, was Ihnen in 15 Minuten in den Sinn kommt und schreiben es unzensuriert nieder. Hauptsache, der Stift macht keine Pause. Wenn Ihnen gerade nichts einfällt, dann schreiben Sie „Mir fällt nichts ein“. Oft macht einem dann das Unterbewusste ein schönes Geschenk …

Abschließend möchte ich auf meinen Kurs „Autobiografisches Schreiben“ hinweisen☺ Er findet an fünf Nachmittagen statt. Fünf Nachmittage sind nicht viel für ein ganzes Leben, aber sie sind ein Anfang. Ein Anfang, um ins Schreiben reinzukommen, um Hemmungen abzubauen, um mehr Lust aufs eigene Leben zu bekommen. Dieser Kurs ist ein Potpourri aus Erinnern, aus Impulsen, aus Methoden, übers eigene Leben zu schreiben und aus Anstößen, mit autobiografischem Material auch fiktionale Texte zu gestalten. Es geht um Lebensträume ebenso wie ums Staunen, um Klarheit und um kreatives Niederschreiben. Kurzum: es ist ein neues Kennenlernen des bekannten Lebens-Stoffes. Machen Sie sich selbst dieses Geschenk!